Nähe ist nicht immer Haut an Haut. Manchmal ist es der Augenkontakt, das Zuhören oder Mitgefühl, das uns unseren Kindern nah sein lässt. liesLotte hat mit Susanne Beck, Therapeutin für Emotionelle Erste Hilfe, über die Nähe zwischen Eltern oder anderen Bezugspersonen und Kindern gesprochen und nachgefragt, wie diese im Alltag gezielt Raum für Nähe schaffen können.
Warum ist Nähe so wichtig?
Nähe ist Nahrung für die körperliche und geistige Entwicklung des Kindes. Nähe ist für den Erwachsenen „Nahrung“ für seine körperliche und geistige Gesundheit. Es gibt unzählige wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse über die Zusammenhänge zwischen Nähe und sicherer Bindung und physiologischen Parametern wie Herzschlag, Blutdruck, Blutzuckerwerte, Körpertemperatur. Bei Stress, Angst und fehlender Sicherheit wird vermehrt das Stresshormon Cortisol ausgeschüttet, was unter anderem das Immunsystem beeinträchtigt und die Erkrankungshäufigkeit erhöhen kann.
Wie verändert sich Nähe mit dem Alter?
Erst mit dem circa dritten Lebensjahr ist das Kind in der Lage, sich als ein unabhängig von der Mutter existierendes Wesen zu erkennen. Bis zu dieser Zeit ist körperliche Nähe existenziell. Das Bedürfnis nach Nähe, Körperkontakt und Bindung besteht ein Leben lang, verändert sich jedoch und variiert in Intensität und Quantität. Die intensive körperliche Nähe der ersten drei Lebensjahre wird weniger und Berührung wird durch emotionale Nähe, Mitgefühl, Präsentsein oder echtes Interesse am Kind erweitert. Das Kind möchte, egal in welchem Alter, mich spüren, meine Präsenz, mein Interesse an ihm, meine emotionale Nähe zu ihm. Ich kann einem Zwölfjährigen nicht immer sagen „Komm in meine Arme“, es gilt, sich auf seine Bedürfnisse einzuschwingen. Berührung wird weniger, aber nicht weniger wichtig. Wie lässt sich im stressigen Alltag Raum für Nähe schaffen? Indem wir „Zeitinseln“ schaffen, also im Kontakt echten Kontakt haben und in dieser Quality-Time alles Dienstliche und dergleichen verbannen. Berühren, so oft es möglich ist und sei es nur, eine Hand auf die Schulter oder auf den Kopf des Kindes zu legen. Sich auf gleiche Augenhöhe mit dem Kind begeben, sich runterknien zum Kind. Beim Zubettgehen kuscheln, sich dazulegen. Aber auch in „Ich“-Botschaften sprechen: „Ich höre Dich“, „Ich glaube Dir“, „Ich finde es schön, dass Du jetzt da bist“, „Ich freue mich auf heute Nachmittag, Abend“…
Was empfehlen Sie Eltern und Bindungspersonen, die sich mit Nähe schwer tun?
Geben Sie sich selbst nicht die Schuld. Jede Mutter und jeder Vater will das Beste für ihr/sein Kind. Verändern Sie auch mal den Blickwinkel: Wo läuft es gut, wo fällt es uns leicht, mit unserem Kind Nähe zu leben? Wie erlebe ich gut gelingende Nähe? Wo im Körper spüre ich das? Zum Beispiel ein wohliges Gefühl im Bauch – Da atme ich bewusst und tief hin. Auf mein Körpergefühl achten, mich spüren, meine Atmung spüren, meine Füße spüren… Wenn ich mich spüre, fällt es mir leichter, mein Kind zu spüren. Mit anderen sprechen, mich dem/r PartnerIn mitteilen, meine Bedenken äußern. Sich Unterstützung im täglichen Hamsterrad suchen, um mehr Freiraum für das Zusammensein mit dem eigenen Kind zu bekommen, zum Beispiel sich eventuell an eine Beratungsstelle wenden, an die Frühen Hilfen der Stadt Augsburg oder des Landkreises. Dort gibt es Ansprechpartner und Fachpersonen.
Stichwort Schreibabys?
Schreien alarmiert die Eltern und setzt sie in einen körperlichen und emotionalen Stress. Das erschwert die feinfühlige Wahrnehmung und Beantwortung der kindlichen Stresssignale. In der Emotionellen Erste Hilfe wird durch Gespräch, durch haltgebende Körperarbeit und bewusste Atmung versucht, das Baby so zu halten und zu begleiten, dass das Schreien abebbt und das Baby in eine aufatmende Entspannungsreaktion kommt. Die Eltern erleben dies in der Regel als sehr unterstützend.
Nähe und Distanz: Wie sieht ein gesundes Verhältnis aus?
Es gibt beim Kind ein Nähe- und ein Autonomiebedürfnis, Phasen der Bindung und der Entbindung. Zeiten, wo es die Nähe sucht oder sich dem Spiel und des Erforschens seiner Umwelt widmen möchte. Wenn ich das Autonomiebestreben des Kindes missachte oder den Impuls nach Spielen und Erforschen nicht zulasse, kann Nähe tatsächlich in dem Moment das unpassende Angebot sein. Bin ich aber im Kontakt mit mir, kann ich empathisch sein und spüren, wann das der Fall ist.
Info: SUSANNE BECK
ist Heilpraktikerin für Psychotherapie sowie Therapeutin für Emotionelle Erste Hilfe und seit 15 Jahren in der Beratung und Therapie für Familien tätig. In ihrer eigenen Praxis und als Fachkraft für Bindung bei den Frühen Hilfen der Stadt Augsburg setzt sie auf das Konzept der Emotionellen Erste Hilfe. Einen körperorientierten Beratungsansatz, der eine liebevolle Bindung zwischen Kindern und Eltern unterstützt.
www.neugeboren-augsburg.de
www.emotionelle-erste-hilfe.org