Wie zweisprachige Erziehung gelingen kann.
Ein Beitrag von Nazan Simsek, Vorsitzende des Kinderschutzbundes Augsburg.
Weltweit werden circa 100 Sprachen gesprochen. Mindestens die Hälfte der Weltbevölkerung ist
mehrsprachig. Damit zweisprachige Erziehung gelingen kann, bedarf es bestimmter Voraussetzungen und Rahmenbedingungen. Kinder sind neugierig und haben von klein auf Freude am Entdecken, Forschen und Erlernen. Sie brauchen jedoch auch ein ausreichendes Angebot und Anreize in beiden Sprachen. Kinder lernen mit ihren Sinnen. Sie verstehen und lernen einfacher, wenn sie dies mit Gesang, Hören, Riechen, Schmecken und Spüren verbinden. So begreifen sie zum Beispiel, was süß oder rau ist oder was Jahreszeiten bedeuten.
Oftmals praktiziert wird das Prinzip „une personne une longue“. Dabei spricht beispielsweise die
Mutter Französisch und der Vater Deutsch mit dem Kind. Dieses Prinzip erfordert zwar ein hohes
Maß an Konsequenz, hat jedoch den Vorteil, dass das Kind sehr intensiv mit den jeweiligen Sprachen in Berührung kommt und dadurch einen größeren Lerneffekt hat. Auch ist die Sprachvermittlung für das Kind transparenter und es läuft nicht Gefahr, die Sprachen miteinander zu vermengen. Das Kind kann auch visuell zuordnen, mit wem es in welcher Sprache kommuniziert. Kommt es dazu, dass Kinder die Sprache vermischen, sollten Eltern das Kind nicht ermahnen, sondern vielmehr beiläufig korrigieren, damit das Kind die Freude am Gespräch nicht verliert.
Es gibt Phasen, in denen die Kinder sich explizit für die deutsche Sprache entscheiden, da diese ihre aktive Sprache im Kindergarten, Schule, unter Freunden darstellt. Kinder antworten dann oftmals in der deutschen Sprache, obwohl eine Frage in der Familiensprache gestellt worden war. Auch das ist normal. Bleiben Sie als Eltern konsequent und antworten Sie Ihrem Kind weiterhin in Ihrer Familiensprache. Wichtig ist, dass das Kind weiterhin diese Familiensprache hört und sie sodann später selber auch wieder aktivieren kann.
Entgegen den früheren Untersuchungen in den Sechzigerjahren, die überwiegend von negativen Folgen der zweisprachigen Erziehung berichteten, haben neuere Studien ergeben, dass eine
zweisprachige Erziehung eher Vorteile als Nachteile mit sich bringt. So wurde unter anderem
festgestellt, dass sich durch die zweisprachige Erziehung Vorteile für Fremdsprachenunterricht
ergeben, da hierdurch die Analogiebildung mit der Muttersprache möglich wird und auch eine
gewisse Sprachfertigkeit und sprachliche Flexibilität vorhanden ist.
Auch ist die Mehrsprachigkeit im Hinblick auf das Sozialverhalten zu befürworten. Kontaktfreudigkeit, aber auch Erleichterung für den beruflichen Werdegang sind gegeben. Sprache ist nicht nur Worte. Die Sprache ist auch Mittel zum Transport von Emotionen. So hat jede Sprache für sich eine eigene Ausdrucksweise, Emotionen zu transportieren, zu betonen, Redewendungen
Sprichwörter und Redensarten sind unterschiedlich.
Zudem ist zu berücksichtigen, dass Kinder mit Migrationshintergrund durch eine mehrsprachige Erziehung die Möglichkeit haben, sich mit Verwandten und Großeltern, die sich im Inland und zum Teil im Ausland befinden und der deutschen Sprache nicht mächtig sind, auszutauschen und hierdurch auch den familiären Halt
zu erfahren.
Es ist im Interesse mehrsprachiger Kinder, dass sich Akteure der sprachlichen Bildung im sozialen
Raum zum Wohle des Kindes vernetzen und zusammenwirken. So sind das Elternhaus und die Schule als Bildungseinheit zu verstehen. Dabei ist zu beachten, dass die deutsche Sprache im schulischen Umfeld und für den schulischen sowie beruflichen Werdegang des Kindes unabdingbar ist. Der Kinderschutzbund Augsburg ist Träger des Projektes Stadtteilmütter, Sprach- und Elternbildung durch bürgerschaftliches Engagement. Das Konzept koordiniert mit zweisprachigen MultiplikatorInnen die Bemühungen des Elternhauses sowie die von Kita, Schule und anderen Bildungsorten.
Mehrsprachigkeit ist eine Chance. Alle Sprachen sind es wert, geschätzt und gefördert zu werden. Dabei ist die sprachliche Kreativität von Kindern eine wichtige Ressource, die es zu nutzen und zu fördern gilt, damit die Kinder, wie von Hinnenkamp geschildert, nicht halbsprachlich zwischen zwei Stühlen, sondern gleichsam auf mehreren Stühlen sitzen und an mehreren Sprachen partizipieren können.