Das Kind ist da, die Geburt schon fast wieder vergessen, die Freude ist groß. Mutter und Kind sind wohlauf; der frisch gebackene Vater ist stolz und glücklich. Alles scheint perfekt. Doch auf eines sind Paare selten vorbereitet: Was wird aus dem Liebespaar, wenn jetzt die Aufgaben und der Sinn, Eltern zu sein, doch nun im Lebensfokus steht?
Das Stillen gehört zum Glück wieder der Normalität an. Es ist bekannt, dass es gut für Mutter und Kind ist. Und manchmal kann es aber auch ein Auslöser für Störungen im Liebesleben eines Paares sein.
So ist es auch für Johanna (39) selbstverständlich, ihrer neugeborenen Tochter Mia die Brust zu geben. Von Beginn an hat Mia gut getrunken und Johanna genießt das Stillen sehr. Manchmal ist sie überrascht wie sinnlich und angenehm es sein kann, wenn das Baby an ihrer Brust trinkt. Als sie diese Erfahrung ihrem Partner Simon erzählt, reagiert dieser eher befremdlich. Er, der früher besonders gerne Johannas Brüste streichelte, hat heute einen inneren Widerstand, sie dort zu berühren. Vielleicht ist es das Gefühl, dass er Mia sonst etwas wegnehmen würde. Eine andere Möglichkeit ist, dass für den Vater der Anblick einer stillenden Frau nur mit „Mutter“ assoziiert wird und „Mutter“ lässt sich für viele schlecht mit Erotik vereinbaren. So ist Simon stark verunsichert, wie er sein sexuelles Interesse ausdrücken soll. Johanna ist zurzeit zu erschöpft, um selbst die Initiative zu ergreifen. Sie hätte gerne, dass ihr Partner ihr seine Lust zeigt und sie verführt. Da er das aber nicht tut, fühlt sie sich als Frau mit Lust auf Sexualität abgelehnt und somit nicht wertgeschätzt. Hier könnte der Beginn einer partnerschaftlichen Entfremdung und eines unerfüllten Sexuallebens sein.
Bei Jessica (24) und Roberto (24) und ihrem gemeinsamen Sohn Luca (2 Monate) verhält es sich anders. Auch Jessica stillt ihren Sohn und Luca scheint ständig hungrig zu sein. Ihre Brustwarzen sind gereizt und ihre milchgefüllten Brüste sind gespannt. So erträgt Jessica keine weitere Berührung und das, obwohl Roberto ihre Brüste gerade jetzt so sexy findet. Die dadurch entstandene Frustration auf beiden Seiten führt auch hier zum Einstellen jeglicher sexuellen Aktivität.
Was ist nun die Gemeinsamkeit dieser so unterschiedlichen Paaren? Beide hatten vor der Geburt ihres Kindes regelmäßig lustvollen Sex. Bei beiden hat die Veränderung, die das Stillen mit sich bringt, negativen Einfluss auf ihr Sexualleben. „In jeder Beziehung, in der Sexualität eine Rolle spielt, gibt es Zeiten mit mehr oder mit weniger Lust”, betont Astrid Schreiber von pro familia Augsburg. „Wir erleben jedoch in Paarberatungen, dass rückblickend gesehen der Beginn der länger andauernden, körperlichen Entfremdung sehr oft mit der Geburt des ersten Kindes zusammenfällt.”
Was also tun? Abstillen? Oder akzeptieren, dass das Kind vor allem anderen nun Vorrang hat? Beides wäre eine eher unbefriedigende Lösung. Die Antwort ist hier, wie so oft bei Beziehungsschwierigkeiten: reden, reden und noch mal reden.
Und was vorher sogar noch wichtiger ist: sich in Ruhe der eigenen Bedürfnisse klar zu werden. Nicht im Sinne von: „Was brauche ich von meinem/r PartnerIn?“, sondern „Was brauche ich für mich?“. Der nächste Schritt ist nun, diese Bedürfnisse so zu äußern, dass das Gegenüber es als Wunsch erkennt, nicht aber als Forderung.
Das bedeutet in unserem Fall bei Johanna, Simon zu sagen, dass sie grundsätzlich Lust auf ihn hat und sich zurzeit zu müde und erschöpft fühlt, um die Initiative zu ergreifen. Als Wunsch kann sie äußern, dass sie gerne verführt werden würde. Unterstützend für Simon ist, wenn sie ihm mitteilt, an welchen Körperstellen sie noch gerne berührt wird, wenn Simon ihre Brüste nicht anfassen möchte. Simons Aufgabe ist es, für sich zu erkennen und zu akzeptieren, dass er ein Problem damit hat, den Busen seiner Partnerin zu berühren, solange er als Nahrungsquelle für seine Tochter dient und dass er gleichzeitig Johanna weiterhin begehrt. Dieses in wertschätzender Art und Weise seiner Partnerin mitzuteilen, bringt den ersten Schritt der Annäherung. Mit dieser Offenheit von beiden werden sie einen neuen Weg der körperlichen Nähe und der Sexualität finden.
Wenn Roberto sich von Jessicas Abgrenzung zurückgewiesen und ausgegrenzt fühlt, so hilft es, wenn er dieses in respektvoller Weise mitteilt, anstatt sich schweigend zurückzuziehen. Das könnte so ausschauen: „Jessica, ich begehre dich und ich bin echt unsicher, was ich tun soll, wenn ich höre: ’Aua, lass mich.’“ Und wenn Jessica wahrgenommen hat, dass ihre Brüste spannen und überempfindlich auf Robertos Berührung reagieren, ist es hilfreich für die Beziehung, in Liebe zu sich, dem Kind und dem Partner zu antworten. In etwa auf diese Weise: „Weißt du Roberto, unser Luca hat immer Hunger und trinkt ganz gierig. Ich freue mich, dass es so gut klappt mit dem Stillen. Und mir tun die Brustwarzen weh, sie sind auf unangenehme Weise überempfindlich. Ich mag es total gerne, wenn du mich stattdessen am Bauch streichelst.“
Liebevoll geäußerte Bedürfnisse können in einer Partnerschaft als sehr reizvoll erlebt werden. So ist die Veränderung im Sexualleben vielleicht auch eine Bereicherung und das Paar entdeckt sich wieder als Liebespaar. Die dadurch gewonnene Energie kommt dann auch dem Familienleben und somit auch dem Kind zugute.
INFO
Astrid Schreiber
Dipl.-Sozialpädagogin
Syst. Paar- und Familientherapeutin
pro familia Augsburg
Foto: Adobe Stock, Svetlana