Sexualisierte Gewalt – Wildwasser Augsburg e.V. stellt sich vor

HINWEIS: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr (Erscheinungsdatum: 18. Januar 2021). Es kann sein, dass Inhalte dieses Artikels sich geändert haben. Hier geht es zu unseren aktuellen Meldungen.

Untersuchungen zeigen, dass Kinder oder Jugendliche bis zu sieben Mal von einem Missbrauch erzählen müssen, bis jemand hellhörig wird. Doch es gilt, solch schwerwiegende Übergriffe an jungen Menschen, aber auch an Erwachsenen, zu verhindern bzw. möglichst schnell zu erkennen. Denn nur so kann man sie schützen und deren seelische und körperliche Qualen lindern. Erste Anlaufstelle für Mädchen, Jungen, Frauen und Männer, wenn es um sexualisierte Gewalt oder auch den Verdacht dazu geht, ist die Fachberatungsstelle Wildwasser Augsburg e.V. Hervorgegangen aus einer Selbsthilfegruppe besteht der Verein seit nunmehr 30 Jahren.

Sophie Binck, Geschäftsführerin, berichtet im Interview über die Hintergründe und die Arbeit des Vereins.

Was bedeutet „sexualisierte Gewalt“?
Jede sexuelle Handlung gegen den Willen eines Menschen ist sexualisierte Gewalt. Dazu gehört auch, wenn Betroffene aufgrund körperlicher, seelischer, geistiger oder sprachlicher Unterlegenheit nicht frei und wissentlich zustimmen können. Es geht dabei immer auch um Machtmissbrauch – aufgrund von Alter, Geschlecht oder hierarchischen Strukturen wie etwa am Arbeitsplatz – und hat oft eine psychische oder körperliche Komponente.

Den Begriff „sexueller Missbrauch“ des Strafgesetzbuchs verwenden wir bewusst nicht, da dieser Ausdruck Deutungsspielraum lässt, als gäbe es einen sexuell richtigen „Gebrauch“ von Kindern. Der Begriff soll jetzt auch im Strafgesetzbuch geändert werden.

Wer ist von sexualisierter Gewalt betroffen?
Sexualisierte Gewalt kommt in allen sozialen Schichten vor. Sie betrifft vorwiegend Mädchen und Frauen aber auch Jungen und Männer. Statistisch gesehen sind in jeder Klasse ein bis zwei missbrauchte Kinder. Manche Schätzungen liegen sogar höher. Täter oder auch Täterinnen nutzen oft gezielt deren Verletzbarkeit aus – gerade bei emotionaler und faktischer Abhängigkeit. Schon einmal erlebte Vernachlässigung, Misshandlung oder sexualisierte Gewalt verstärken die Gefahr, erneut zum Opfer zu werden.

Wer soziale Ausgrenzung erlebt, ist ebenfalls besonders gefährdet. Prekäre Lebenslagen wie eine institutionelle Unterbringung, beispielsweise in Jugendhilfe-Einrichtungen oder Sammelunterkünften für Flüchtlinge, erhöhen das Risiko zusätzlich. Ferner zeigt eine bundesweite Prävalenzstudie, dass Menschen mit Behinderungen zwei- bis dreimal häufiger derlei Gewalt erfahren als andere.

Wer sind die Gewaltausübenden und wie kann man Kinder schützen?
In etwa zehn bis 20 Prozent der Fälle geht die Gewalt von Frauen aus, der Rest von Männern. Da fast 80 Prozent der Übergriffe im sozialen Nahbereich geschehen – also durch Familienangehörige, Bekannte der Eltern oder erwachsene Bezugspersonen in Sportverein, Kita und Schule, ist es äußerst wichtig, Kinder präventiv zu stärken.

Wo kann eine solche Prävention stattfinden?
Präventionsarbeit sollte schon im Kindergarten beginnen, aber auch in Schulen, außerschulischen Einrichtungen und Unternehmen stattfinden. Die Teilnehmenden werden so gestärkt, sich „Nein“-Sagen zu trauen, sich Hilfe zu holen und über ihre Erlebnisse sowie Gefühle zu sprechen. Schon die Kleinsten können so für „schöne und blöde Gefühle“ sensibilisiert werden. Wichtig ist, dass Eltern, Fachkräfte und Ehrenamtliche Anzeichen sowie TäterInnenstrategien erkennen und im Verdachts- oder konkreten Fall kompetent handeln lernen. In Schule oder Kita erfahren beste FreundInnen, wie sie sich bei Missbrauchserzählungen, die oft mit der Auflage zu schweigen einhergehen, verhalten können.

Wie stellt sich die Situation durch Corona dar?
Durch den Lockdown mussten Therapien und Klinikaufenthalte abgesagt oder verschoben werden, was zu erhöhtem Bedarf an Beratungsterminen geführt hat. Wir wissen, dass die Zahlen von sexualisierter Gewalt im Dunkelfeld gestiegen sind. Die Auswirkungen davon werden wir in den nächsten Jahren spüren.

Über den Verein Wildwasser Augsburg e.V. 
Der Verein unterstützt und berät mit einem individuellen und breit gefächerten Angebot. Die etwa einstündigen Beratungen finden flexibel persönlich, telefonisch oder per E-Mail statt, können anonym sein und sind grundsätzlich kostenfrei. Die Mitarbeiterinnen bieten u.a. begleitende Fachberatung vor, während und nach Therapien sowie die Vorbereitung und Nachsorge bezüglich eines Klinikaufenthalts. Zudem gibt es Hilfe bei der Suche nach ÄrztInnen, TherapeutInnen sowie anderen Fachstellen oder bei Fragen zu einer Strafanzeige. Betroffene erhalten Begleitung zu AnwältInnen, Polizei, Gericht und Hilfe bei Anträgen.

Auch Angehörige können sich zum Thema sexualisierte Gewalt beraten lassen. Sie erhalten weiterführend Informationen zu sekundärer Traumatisierung, Unterstützungsmöglichkeiten oder Stabilisierungsmaßnahmen. Wildwasser ist darüber hinaus Ansprechpartner für Fachkräfte aller Institutionen, die in diesem Bereich arbeiten – bis hin zur Erstellung von Schutzkonzepten oder Supervision. Auch zahlreiche Angebote zur Prävention wie Workshops, Vorträge, Sag-Nein-Kurse und vieles mehr bietet der Verein bereits für Kindergartenkinder ab fünf Jahren. Zudem finden über die Fachberatungsstelle in regelmäßigen Abständen angeleitete Selbsthilfe- und Stabilisierungsgruppen statt, in denen sich die Betroffenen austauschen und Stabilisierungstechniken erlernen können. (mw)

INFO:
Wildwasser Augsburg e.V.
Fachberatungsstelle gegen sexualisierte Gewalt

  • kostenlose Beratung und Unterstützung für Betroffene (ab 10 J.), Angehörige und Fachkräfte
  • Selbsthilfe- und Stabilisierungsgruppen (coronabedingt zurzeit nicht)
  • Präventionskurse (kostenpflichtig)
  • Fortbildungen

Schießgrabenstr. 2, Augsburg
Tel.: 0821 / 15 44 44, beratung@wildwasser-augsburg.de

Mo + Di + Do: 9 – 17 Uhr
Mi + Fr: 9 – 13 Uhr
+ nach Vereinb.

www.wildwasser-augsburg.de