Ratgeber Familienalltag: Gestärkt aus der Krise

HINWEIS: Dieser Artikel ist älter als ein Jahr (Erscheinungsdatum: 7. Februar 2021). Es kann sein, dass Inhalte dieses Artikels sich geändert haben. Hier geht es zu unseren aktuellen Meldungen.

Die Coronazeit bedeutet für jeden eine starke Veränderung der Lebenssituation. Ob wir sie als Krise wahrnehmen oder nicht, hängt jedoch nicht vom Außen, sondern vielmehr von unserer Bewertung ab, sagt die Psychologin Dr. Katrin Hegendörfer. Wie wir eine Situation bewerten und mit ihr umgehen, können wir selbst gestalten. liesLotte-Redakteurin Nina Stazol mit der Fachfrau im Gespräch.

Auch – oder vielleicht gerade – in schwierigen Zeiten können Kinder eine Menge fürs Leben lernen. Wenn wir als Erwachsene wissen, wie wir Schwierigkeiten gut bewältigen, lernen Kinder dies als Lebenskompetenz automatisch von uns. Anstatt Angst und Ohnmacht pflanzen wir bei ihnen den Samen der Zuversicht und Handlungsfähigkeit. So können Kinder sogar gestärkt aus schwierigen Zeiten hervorgehen.

Sich mit sich selbst zu beschäftigen, um die eigene innere Welt in Ordnung zu halten, ist also nicht etwa egoistisch. Es schafft innere Ruhe und ermöglicht zudem, offen wahrzunehmen, wo das Kind steht und wie es ihm geht, ohne die eigenen Sorgen oder Themen auf das Kind zu übertragen. Generell bedürfen Kinder jetzt besonders der Orientierung und der Sicherheit, dass Mama oder Papa wissen, was sie tun. Wie aber erlangt man diese Zuversicht? Katrin Hegendörfer ist sehr zuversichtlich. Sie sagt, wir sind alle in der Lage, Ruhe und Stärke in uns selbst zu erzeugen, unabhängig davon, was im Außen passiert. Was es dazu braucht, ist ein Repertoire an Strategien, also Vorgehensweisen, die uns helfen und guttun. Hier sind einige der vielen Strategien aus den Bereichen Verstand, Gefühle und Körper, die die Psychologin ihren KlientInnen empfiehlt. Probieren Sie sie aktiv aus, befüllen Sie, wie Katrin Hegendörfer es nennt, „Ihre Schatzkiste“ mit jenen, die sich bewähren, und unterstützen Sie Ihr Kind beim Bestücken seiner eigenen.

Eines der effektivsten Mittel, um das eigene Stresslevel zu verringern, ist Präsenz. Richten Sie dazu Ihre Aufmerksamkeit, wann immer es geht, bewusst auf Ihr „Hier und Jetzt“, auf den gegenwärtigen Moment, sich selbst und die Menschen, mit denen sie gerade in Kontakt sind.

Die Sprache ist ein weiterer Punkt aus dem Bereich Verstand, an dem wir ansetzen können. Unser Gehirn und unser Körper reagieren auf Worte. Wie wir mit unseren Kindern sprechen, hat großen Einfluss auf deren Entwicklung. Sie formen aus der Art, wie wir sprechen, ihre Überzeugungen und ihr Vertrauen in sich. Durch unsere Aussagen können wir Kinder stärken oder schwächen. Eine Strategie, die Dr. Hegendörfer empfiehlt, ist deshalb, bewusst auf eine positive Sprache zu achten. Auch und gerade im Umgang mit Kindern.

Achten Sie darauf, wie Sie sprechen, vermeiden Sie negative Formulierungen. Gelingt es Ihnen stattdessen, etwas neutral oder zuversichtlich zu formulieren? Sie müssen nicht alles gut finden, es reicht, nicht abzuwerten oder verbal zu attackieren und bestenfalls die Aufmerksamkeit auf Lösungen zu verschieben. Darin kann man auch das Kind unterstützen: Ja es ist schlimm, ich verstehe dich und – jetzt lass uns gemeinsam überlegen: Welche anderen Möglichkeiten gibt es?

Für den Bereich der Gefühle ist das Wissen von Bedeutung, dass man positive Emotionen bewusst erzeugen kann. Das gelingt bereits mit einfachen Dingen wie Musikhören oder Lachen. Gerade in schwierigen Zeiten ist es wichtig, dass wir unsere Lebensfreude aktiv halten. Auch Dankbarkeit lenkt die Aufmerksamkeit weg von Mangel, hin auf das, was wir haben, und lässt uns zufriedener sein. Schreiben Sie mit Ihrer Familie auf, wofür Sie dankbar sind. Oder entwerfen Sie Glückslisten. Dabei sammelt und formuliert jeder für sich, was ihm Freude macht. Kuscheln? Radfahren? Gibt es Überschneidungen? Uns daran zu erinnern, was wir besonders gut können, worauf wir stolz sind, stärkt das Selbstbewusstsein und löst auch ein Wohlgefühl aus.

Positive Emotionen sind freilich nur die eine Seite der Medaille. Gefühle sind nicht verhandelbar, sie sind erst mal da. Sie kommen und gehen aber von selbst wieder vorbei. Auch die sogenannten negativen. Gerade jetzt können Eltern ihre Kinder dabei begleiten, zu lernen, dass man durch Gefühle „fühlend“ durchgehen kann. Ist ein Kind ängstlich oder traurig, ist es am besten, die Bezugsperson ist einfach da und hört zu. Ohne die Gefühle wegzureden oder lösen zu wollen. Bei Wut ist hilfreich, Wege zu zeigen, wie das Kind die überschüssige Energie abbauen kann, ohne sich oder anderen zu schaden. Überlegen Sie gemeinsam, was Ihrem Kind jetzt guttun könnte. Hüpfen oder aufs Kissen trommeln? Erinnern Sie Ihr Kind beim nächsten Mal an die gefundene Strategie.

Der dritte Bereich, der Stabilität und Kraft gibt, ist unser Körper. Die Strategien hierzu sind so bekannt wie wesentlich: gesundes Essen, ausreichend Schlaf, viel Bewegung, bewusst den Medienkonsum zu reduzieren. Sie alle wirken sich positiv auf Gefühle und Gedanken aus.

Das ist das Spannende an den Bereichen Verstand, Gefühle und Körper, die die Psychologin auch die drei Musketiere nennt: Getreu dem Motto ‚Einer für alle, alle für einen’ beeinflussen sie sich wechselseitig. Das können wir nutzen. Bewegung kann helfen, negative Gedankenketten zu unterbrechen, Gedanken an etwas Schönes können ein angenehmes Gefühl bewirken. Was jeweils geht und hilft, kann von Mensch zu Mensch und von Mal zu Mal variieren.

Mittlerweile ist schon ganz gut erforscht, wie unsere Psyche funktioniert. Wir wissen darum, dass die Psyche und Verarbeitung von allem, was im Außen passiert, zentral für unsere Gesundheit ist. Dr. Hegendörfer sieht das als große Chance: „Wir können als erste Generation unseren Kindern schon von klein auf mitgeben, was es braucht, um mentale und emotionale Stärken aufzubauen.“ Wir haben immer die Möglichkeit, Einfluss darauf zu nehmen, wie es uns geht. Das klappt nicht jeden Tag gleich gut. Dann ist es eben so. Aber, so Dr. Hegendörfers ermutigende Devise, das berühmte Glas ist nicht halb voll oder halb leer. „Das Glas ist immer wieder auffüllbar. Und zwar von uns selbst.“

INFO:
Dr. Katrin Hegendörfer
… ist klinische Psychologin. Sie arbeitet seit 2011 in eigener Privatpraxis in München als Einzel-, Paar- und Familientherapeutin und systemischer Coach. Seit über 15 Jahren begleitet sie KlientInnen mit und ohne Kinder dabei, souverän durch Krisen zu navigieren.
Mit LifeSkripting® entwickelte sie eine wirksame ganzheitliche Coaching-Methode für gesunde nachhaltige Selbstführung. Im Februar 2021 startet dazu der 4-Wochen-Eltern-Onlinekurs „Mit Kindern stark durch die Krise”. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in München.

Tel.: 089 / 57 00 43 19

www.dr-hegendoerfer.de

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