Immer wieder werde ich in der Beratung gefragt, was sich wohl dahinter verbirgt, dass Kinder eine gute Bindung haben sollen – und was Eltern dafür tun können. Die Vorstellung, dafür etwas aktiv tun zu müssen, bringt manche Eltern in zusätzlichen Stress. Sie haben den Eindruck, „noch irgend etwas besonders gut“ machen zu müssen! Viele sind dann erst mal erleichtert, wenn sie hören, was Feinfühligkeit und Bindungsorientierung im Alltag sein kann.
In der Beratung erzählte mir unlängst ein junger Vater, wie sehr es ihn freut, wenn er seine Tochter beruhigen kann. Er hatte doch etwas Sorge, wie es sein wird, wenn er alleine für die Kleine zuständig und die Mutter für ein paar Stunden nicht greifbar ist. Seine Erfahrung, sein Kind durch seine Anwesenheit, Ansprache oder Beschäftigung zu beruhigen, sie zum Lachen und Erkunden zu bringen, hat ihn sehr gefreut – und erleichtert: Und er hat sich dabei nicht so sehr anstrengen müssen. Er hat mit seiner Tochter das getan, was er selbst gern tut, um sich zu beschäftigen oder zu beruhigen: Er spielt auf der Gitarre und singt ihr vor und das gefällt auch seiner Tochter! Natürlich hat das mit dem Musikmachen, das er kannte, bevor er Vater wurde, kaum mehr etwas zu tun. Er kann nur kurz spielen und hat dabei seine Aufmerksamkeit auf das Kind und die Interaktion gerichtet. Aber er sagt, es würde sich trotzdem gut anfühlen, wenn sie sich entspannt, lächelt und Freude daran hat, zu lauschen und mitzukreischen.
Auf meine Aussage hin, dass er wohl ganz bindungsorientiert und feinfühlig vorgehe, gut im Kontakt mit sich und den Bedürfnissen seines Kindes sei, war er erstaunt. Wenn bindungsorientiert so einfach sein kann, wolle er mehr davon wissen.
Wir alle werden mit dem Bedürfnis und der Bereitschaft nach Bindung geboren. Diese Fähigkeit zur Bindung sichert unser Überleben und verankert uns in der Welt. Gelungene Bindungserfahrungen geben uns Sicherheit, stärken die Lust und den Mut zur Erkundung, lassen uns Vertrauen in uns und andere fassen und sind eine stabile Grundlage für alle Beziehungen, die wir im Laufe unseres Lebens eingehen, gestalten und auch wieder lösen. Gute Bindungserfahrungen ermöglichen uns, flexibler und freundlicher zu agieren, weil wir die Grunderfahrung machen, dass unsere Bedürfnisse in Ordnung sind und in Kooperation abgestimmt werden können.
Besonders bei Säuglingen und Kleinkindern entdecken wir in den ersten Lebenswochen und -monaten, wie sie sich an uns binden, uns vertrauen, nachahmen und nach und nach die Sicherheit entwickeln, die Welt außerhalb von Mamas und Papas Schoß zu erkunden. Wer Gelegenheit hat, diese ersten „Wegbewegungen“ des Kindes von der Bezugsperson zu beobachten, und den herzerfrischenden, rückversichernden Blick des Kindes zurückverfolgen kann, wird berührt sein von dieser menschlichen Grundbewegung des „Selbsttuns und doch im Kontaktseins“.
Der junge Vater erzählt, dass er sein Verhalten gegenüber seiner Tochter als „natürlich“ empfinde. Die direkte „Rückmeldung“ seiner Tochter in Form von Aktivität, Entspannung und Wohlgefühl bestätigt ihn und gibt ihm das Gefühl, als Vater zu „genügen“.
Gute Eltern zu sein, wünschen sich alle Schwangeren und werdenden Väter. Sie haben den Wunsch, ihrem Kind möglichst viel davon zu geben, was sie zu starken und selbstbestimmten Menschen macht. Viele Eltern merken, dass es sich lohnt, sich mit Bindung zu beschäftigen, oft stoßen sie dabei auf eigene Erfahrungen, die sie geprägt haben. Und sie merken, dass ihre Kinder Sicherheit und Schutz brauchen, um zu wachsen und zu gedeihen. Wenn Eltern feinfühlig und angemessen auf die Bedürfnisse ihrer Säuglinge eingehen können, kann das eine direkte Auswirkung auf die Zufriedenheit und Sicherheit das Babys haben.
John Bowlby (1907 bis 1990), ein britischer Kinderarzt, der zusammen mit Mary Ainsworth ein Pionier der Bindungsforschung war, definierte folgendermaßen: „Bindung – ein unsichtbares emotionales Band, das zwei Menschen sehr spezifisch über Raum und Zeit verbindet.“ Und ver-
bunden sein, mit sich und anderen, ist ein tiefes menschliches Bedürfnis.
AUTORIN:
Elke Gropper-Schumm
Fachfrau in der Schwangerenberatung,
Dipl.-Sozialpädagogin
Berät bei pro familia Augsburg e.V.
Tel.: 0821 / 45 03 62-0
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