Nazan Simsek, Vorsitzende des Kinderschutzbundes Augsburg im liesLotte-Gespräch über das Erlernen von Geduld.
Auch wenn Kinder viel Freude bereiten, uns überraschen und unser Herz erwärmen, so kann die Erziehung hin und wider auch zur Geduldsprobe werden. Dabei haben Kinder ein anderes Gefühl von Zeit. Sie leben im Hier und Jetzt, während wir Erwachsenen eine ständige Liste von to does, geprägt von Zeitdruck, im Kopf haben. So fällt es dann vielleicht einmal schwer, geduldig zu sein, zu warten und zu ertragen.
Geduld hat etwas mit der eigenen Erwartungshaltung in einer konkreten Situation zu tun. Der Geduldsfaden reisst, wenn das Geschehnis um einen herum nicht der eigenen Erwartungshaltung entspricht. Geduldig sein, bedeutet Selbstkontrolle, Kontrolle der eigenen Impulse und Frustrationskontrolle. Da die Eltern die wichtigsten Bezugspersonen für das Kind sind, sind diese auch die Geduld betreffend Vorbild für das Kind. Kinder beobachten ihre Eltern und ahmen diese nach.
Wollen wir Kindern also Geduld beibringen, so sollten wir ihnen Geduld vorleben. Denn „Kinder machen nicht das, was wir sagen, sondern das, was wir tun.“ (Zitat Franklin P. Jones)
Die Entwicklung von Geduld
„Bei Kindern braucht man ein Gläschen voll Weisheit, ein Fass voll Klugheit und ein Meer voll Geduld“ (Zitat Franz von Sales). Für die Entwicklung des Kindes ist auch das Erlernenmüssen der Geduld immanent. Kinder bedürfen dabei der Stärkung und Förderung, bedenkt man, dass die Entwicklung der kognitiven und emotionalen Fähigkeiten des Kindes für dieses mit Herausforderungen verbunden ist.
Kinder spüren und definieren aus dem Bauch, sie befinden sich primär in ihrer Gefühlswelt. Kinder sind geduldig, wenn das Warten positiv besetzt ist, eine gutes Gefühl damit verbunden ist. Kleine Kinder haben noch kein ausgeprägtes Zeitgefühl. Wird das Warten mit bestimmten Dingen bzw. Handlungen verknüpft, ist es für diese greifbarer und verständlicher. Dies kann beispielsweise das angekündigte Vorlesen nach dem Pyjama anziehen sein.
Geduld wichtiger als Intelligenz
Im Grundschulalter wird die Geduld umso wichtiger. Die Unterrichtsstunde auf dem Sitzplatz auszuhalten, erst zu sprechen, wenn man aufgerufen wird, auf die Pause zu warten usw., verlangt von den Kindern Selbstkontrolle. Zahlreiche Studien belegen, dass Geduld ein wichtiger Faktor für den Erfolg ist. Langzeituntersuchungen haben ergeben, dass Geduld in Form von Ausdauer und Ruhe eher zum Erfolg führt als reine Intelligenz.
Berühmt und viel zitiert ist das Marshmallow-Experiment von Walter Mischel aus den 60-iger Jahren. Um die Willenskraft von Kindern zu messen, setzte er jeweils ein Kind zwischen vier und sechs Jahren in einen Raum mit einem Marshmallow auf einem Teller an den Tisch. Das Kind erhielt die Wahl: Marshmallow sofort essen oder warten und dafür später zwei erhalten. Walter Mischel ging sodann aus dem Raum und versicherte, bald wieder zu kommen. An dieser Untersuchung nahmen über 500 Kinder teil. Inzwischen fanden zahlreiche weitere Forschungen statt mit dem Ergebnis, dass die Geduld die Ausdauer, das Talent und die Intelligenz übertreffen. Es wurde festgestellt, dass geduldige Schüler, selbstbewusster sind, mit Niederlagen besser umgehen können und aufgrund ihrer Ausdauer ihr Ziel besser erreichen.
Geduld für Erwachsene
Geduld ist auch für uns Erwachsene erlernbar. Geduld hat viele Gesichter, zum Beispiel der Verzicht auf Konsum, die Ausdauer, das Aushalten negativer Gefühle, die Selbstkontrolle, das Wahren der inneren Ruhe in herausfordernden Situationen. Dabei versteht sich Geduld nicht passiv, auch das Nichtaufgeben bedeutet, vor allem mit sich selbst geduldig zu sein. Auf Konsum zu verzichten bedeutet, auszuhalten, nicht jedem Trend oder neuem Gerät nachzueifern und zu erwerben. Auch Sparen ist Geduld.
Will man Kindern verständlich Geduld vermitteln „… darf man nicht verlernen, die Welt mit den Augen eines Kindes zu sehen.“ (Henry Matisse)
INFO:
Kinderschutzbund Augsburg
Volkhartstr. 2, Augsburg
www.kinderschutzbund-augsburg.de
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